Kompetenzportrait Dr. Stefan Tino Kulnik

VON EINEM DER AUSZOG, UM DIE WELT ZU ERFORSCHEN

Der Ehrgeiz durch neue Forschungsergebnisse eine entscheidende Verbesserung für PatientInnen zu bewirken, treibt ihn an. Er ist Forscher am renommierten St. George´s Hospital in London und hält ein Masters Degree in Clinical Practice selbiger Universität. Sein Doktoratsstudium absolvierte er am King´s College London. Der Physiotherapeut Dr. Stefan Tino Kulnik über die internationalen Stationen seiner Karriere, das Forschen an einer Universitätsklinik sowie die Fähigkeiten und die Talente, die es dafür benötigt.

Dr. Stefan Tino Kulnik lebt seit 14 Jahren in London – 12 Jahre davon bereits mit seiner Frau und seit 15 Monaten leben sie gemeinsam mit ihrem Sohn. Einen Hund gibt es auch, der wohl die Leidenschaft der Familie, möglichst viel Zeit im Grünen zu verbringen, teilt. Doch wie hat es den gebürtigen Wiener nach England verschlagen?

Den ersten Stein der großen Geschichte hat sein ehemaliger Biologie- und Sportprofessor am Gymnasium, der sehr viele Erfahrungen aus einer persönlichen Rehabilitationsbehandlung in den Unterricht einfließen ließ, ins Rollen gebracht. Tino Kulniks Interesse an Naturwissenschaften und Medizin war damit geweckt und er absolvierte direkt nach der Matura seine Ausbildung zum Physiotherapeuten an der damaligen Akademie am Wiener AKH.

Fokus, Professionalität und die Liebe zum Beruf

Direkt im Anschluss daran startete er seine internationale Karrierelaufbahn, obgleich ihm das in diesem Moment vielleicht noch gar nicht so bewusst war. Für Tino Kulnik war es wichtig, sein erlerntes Wissen als Physiotherapeut bereits im Rahmen seines Zivildienstes einbringen zu können. Eine Möglichkeit dazu fand sich im Friedensdorf International, einem Kinderdorf im Ruhrgebiet in Deutschland, in dem er verletzte Kinder aus Kriegsgebieten betreute. Seine wichtigste Lernerfahrung aus dieser Zeit: die krassen Unterschiede in der medizinischen Versorgung auf der Welt wahrzunehmen und mit enormem Leid umgehen zu lernen. Zeitgleich hat es ihn aber auch überaus beeindruckt zu sehen, wieviel Lebensfreude trotz der großen Schicksalsschläge in seinen kleinen PatientInnen steckte. Bereits an dieser Stelle galt sein Interesse der Frage, wie er den Kindern in der Therapie möglichst viel mitgeben könnte, was sie auch nach ihrer Heimkehr weiter unterstützen würde.

Übung macht den Master oder Lernen, Praktizieren und nochmals Lernen

Nach dem Zivildienst ist Dr. Kulnik zunächst in Deutschland geblieben und war am Herzzentrum Leipzig als Physiotherapeut tätig. Es war ein Arbeiten auf hohem klinischen Niveau und in einem tollen Team, wie er erzählt, doch irgendwann hätten ihm die Weiterbildungsmöglichkeiten gefehlt. Nach langer Recherche kam die Entscheidung einen Masterlehrgang zur kardiorespiratorischen Physiotherapie in England zu absolvieren. Um die Zulassung dafür zu erlangen war es Bedingung im englischen Gesundheitssystem bereits tätig zu sein. Also musste schnellstmöglich eine Arbeitsbewilligung her. Leider wurde die österreichische Ausbildung damals nicht im vollen Umfang in England anerkannt, doch auch das konnte ihn in seinem Vorhaben nicht stoppen. Nach einem Aufbaukurs und einigen absolvierten Praktika später war es soweit und Tino Kulnik arbeitete für zweieinhalb Jahre am Whittington Hospital in Nord London. Fokussiert und neugierig zugleich, wie er war und ist, setze er mit einem neunmonatigen Aufenthalt in Kalifornien fort und bildete sich am Kaiser Permanente Rehabilitation Center in Vallejo in der Spezialtherapieform PNF weiter.

Wieder zurück in London begann er am St. Mary’s Hospital mit Fokus auf die Therapie neurologischer Erkrankungen zu arbeiten und nachfolgend den einjährigen Master-of-Research-Vollzeitkurs mit starkem Fokus auf Forschungsmethodik zu absolvieren. Es war ein großes Glück, so erzählt er, dass dieses Masterprogramm von der englischen Regierung gefördert und er von seinem Job für die Zeit des Studiums karenziert wurde.

Ist der Forschergeist erst geweckt…

Forschung, so erkennt man sofort im Gespräch, ist zu allernächst eine Haltung. Ist der diesbezügliche Geist erstmals geweckt, lässt er einen so schnell nicht mehr los. Und so verhielt es sich wohl auch bei Tino Kulnik, der diesbezüglich „Lunte gerochen“ hatte und sich fortan für ein Doktoratsstudium in der Forschung begeisterte. Und er sollte finden, wonach er gesucht hatte.

Auch diesmal lotete er Optionen aus und fand die für ihn passende Stelle als Forschungsassistent, in einem glücklicherweise bereits ausfinanzierten Projekt. Dieses war als Doktorats-Projekt qualifiziert. Dr. Kulnik forschte drei Jahre ausschließlich am Kings Kollege Hospital, London, an der Abteilung für Schlaganfallbehandlung und absolvierte damit erfolgreich sein Doktoratsstudium.

Danach folgte die Anstellung am renommierten St. Georges Hospital, an einer gemeinsamen Fakultät der Kingston University und St. George’s, University of London. Dr. Kulnik forscht seither im Bereich der Rehabilitation nach Schlaganfällen und neurologischen Erkrankungen mit Fokus auf „self management“. Vereinfacht könnte man sagen, dass es ihm erneut nun in seiner Forschung um die Beantwortung der Frage geht, wie man PatientInnen im Rahmen der Therapie bestmöglich unterstützen kann, möglichst viel Selbstvertrauen zurückzugewinnen und den Grad der Selbstbestimmung in der jeweiligen Lebensführung maximal zu erhöhen.

Vom Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und in den gesellschaftlichen Wert der eigenen Arbeit

In Zeiten des digitalen Wandels, erzählt Tino Kulnik, sind ForscherInnen, die das „Linken, Liken und Sharen“ in sozialen Netzwerken oder auf Plattformen wie Twitter beherrschen, sicher im Vorteil beim Erlangen von Aufmerksamkeit. Er selbst zählt sich nicht zu diesem hoch aktiven Kreis, obgleich er auf „ResearchGate“, einer Social Media Plattform für Forschende, seine Ergebnisse mit einem Fachpublikum teilt. Das ersetzt für ihn aber keineswegs die Schönheit und das Glücksgefühl eines Gesprächs, das sich beispielsweise am Rande von Kongressen manchmal ergibt, wenn zwei Forschende aufeinandertreffen und mit höchstem gegenseitigen Interesse wertschätzend Erkenntnissen des jeweils anderen lauschen.

Soziale Kompetenz, Einfühlungsvermögen, die Lust an der Arbeit am und mit Menschen, ein gutes dreidimensionales Verständnis, Körpergefühl sowie eine gewisse intellektuelle Begabung sind für Dr. Kulnik die Fähigkeiten und Talente, die gute PhysiotherapeutInnen ausmachen. Zusätzlich dafür stehen Talente wie Neugier, kritisches Denken, Kreativität, Offenheit und die Fähigkeit „gegen sich selber“ zu denken, Eigeninteressen zu hinterfragen sowie die Bereitschaft auch mal zu scheitern in der Forschung im Vordergrund. Und man müsse kontinuierlich hart arbeiten, bis man etwas erreicht. Geduld, Durchhalte-vermögen und eine sprichwörtlich „dicke Haut“ benötige es zusätzlich, um mit Zurückweisungen zurecht zu kommen und immer wieder neue Projekte zu beginnen. Den Glauben an die eigenen Kenntnisse und Fähigkeiten wie auch an den gesellschaftlichen Wert der eigenen Forschungsarbeit darf man niemals aus den Augen verlieren, um nachhaltig Erfolg zu haben.

Wenn man als PhysiotherapeutIn mit PatientInnen arbeiten möchte, hat man in Österreich ausgezeichnete Ausbildungsmöglichkeiten, um eine sehr gute Laufbahn zu starten, attestiert Tino Kulnik. Differenzierter sieht er Österreich als Forschungsstandort. Es gäbe vergleichsweise wenige ProfessorInnen an den Universitäten, die aus einem therapeutischen Beruf stammen. In England gäbe es eine lange Liste an ProfessorInnen und ein potentes Förderwesen. Apropos Ausbildung: Er selbst ist Gastdozent an der FH Campus Wien und betreut hier Studierende eines interdisziplinären Masterstudiengangs.

Von seinen KollegInnen wird er als introvertiert und sehr dem Detail verpflichtet beschrieben – fast ein wenig pingelig und stur, dabei aber immer freundlich. Er selbst kann sehr klar aussprechen, dass er als klinisch tätiger Physiotherapeut durchaus gut gearbeitet hat, jedoch in der Forschung seine eigentliche Stärke liegt. Und genau das treibt ihn weiter an: der Ehrgeiz durch die Forschungslage die Qualität und Möglichkeiten in der Rehabilitation zu verbessern. Forschen alleine um der Forschung willen, ist seine Sache nicht. Es muss für ihn immer darum gehen, durch Studien für Menschen und in deren Leben durch neue Erkenntnisse einen entscheidenden Unterschied zu machen.

Für ein „echtes Hobby“ wie er es nennt, bliebe ihm derzeit zu wenig Zeit. Wenn es der Beruf ermöglicht geht er aber gerne fischen oder genießt die Ruhe in der Natur. „Da wird die Batterie aufgetankt und neue Gedanken und Ideen kommen aus dem Hinterkopf hervor, weil der Geist weiterverarbeiten kann, woran man gerade intensiv arbeitet.“

Worauf Dr. Kulnik beruflich stolz ist? Dass er sich früher im klinischen Alltag immer wieder gewünscht habe, an Forschungsprojekten und Studien mitarbeiten zu dürfen und es ihm durch seinen kontinuierlichen Ausbildungsweg selbst gelungen ist, sich in die Position zu bringen, jetzt genau diese Studien zu leiten und KollegInnen zur Mitarbeit einladen zu können.